Martin Puder: Theodor W. Adorno und das Absurde

Die kleineren sozialphilosophischen Arbeiten Adornos pointieren absurde Verkehrungen wie die, daß die zunehmende Entlastung der Menschen durch Maschinen zu einem Zustand geführt hat, in dem sich fast alle durch ihre Aufgaben dauernd überlastet fühlen; oder daß der Triumph der Mondlandung einhergeht mit dem kläglichsten Unvermögen, den Großteil der Erdbevölkerung ausreichend zu ernähren. In einem Text aus dem Jahr 1969 heißt es: „Daß der verlängerte Arm der Menschheit zu fernen und leeren Planeten reicht, daß sie es aber nicht vermag, auf dem eigenen den ewigen Frieden zu stiften, bringt das Absurdum (…) nach außen“.[1] Und: „Eingeschlossen von einem Horizont, in dem jeden Augenblick die Bombe fallen kann, hat auch das üppigste Angebot von Konsumgütern etwas von Hohn“.[2] Adorno hat zwar die Parole vom Absurdismus, die einen Großteil der Literatur der fünfziger Jahre beherrschte, insoweit abgelehnt, als die Etikettierung den gemeinten Sachverhalt eher verharmloste als ausdrückte. Der innere Zusammenhang mit dieser Richtung ist aber erkennbar. Wie schnell die Literatur, die das Absurde in der gegenwärtigen Realität hervorkehren wollte, zurückgedrängt oder sogar vergessen wurde, erstaunt, wenn man sich deutlich macht, daß die Verhältnisse nicht vernünftiger geworden sind. Es ist schwer zu sagen, ob der kollektive Narzißmus durch die Akzentuierung des Absurden zu sehr geschädigt wurde oder ob die verzweifelte Lähmung abstieß, die aus der Ungreifbarkeit des Absurden folgt. Jedenfalls stellt es die seit 1960 dauernd zunehmende Tendenz dar, nicht von einer übergreifenden Absurdität als Gegebenheit zu reden, sondern um jeden Preis konkrete Gründe für absurd Wirkendes anzugehen, reale Schuldige zu nennen, zu durchschauen und zu entlarven. Der Preis kann dabei auch der sein, daß Theorien oder Handlungen entstehen, die gerade in ihrem Rationalitätsanspruch den Gipfelpunkt des Absurden erreichen, wie etwa KPD-Texte oder Baader-Meinhof-Aktionen.

Demgegenüber ist bei Adorno die Absurdität nicht nur Ergebnis der Gegenwartsdiagnose, sondern auch reflektiertes Charakteristikum der eigenen Arbeit. Angesichts der beschriebenen Übermacht der Verhältnisse und der fatalen Prozesse, die zu ihnen geführt haben, scheint die Anstrengung der Beschreibung unsinnig. Wenn sie Adorno gleichwohl übernimmt, so in der Hoffnung, daß gerade in der Absurdität der eigenen Anstrengung etws liegt, das die Absurdität des Bestehenden zu lösen vermöchte. Beispielhaft für diese Intention ist die Definition von Philosophie, die Adorno gegeben hat: „Philosophie ließe, wenn irgend, sich definieren als Anstrengung, zu sagen, wovon man nicht sprechen kann; dem Nichtidentischen zum Ausdruck zu helfen, während der Ausdruck es immer doch identifiziert“.[3]

in: Martin Puder: Adornos Philosophie und die gegenwärtige Erfahrung (1976), wiederabgedruckt in: Martin Puder: Adorno Horkheimer Benjamin (Berlin 2015: Autonomie+Chaos): pdf

[1] Th. W. Adorno: Gesammelte Schriften 8, a.a.O., S. 363 f.

[2] ebd., S. 366.

[3] Th. W. Adorno: Drei Studien zu Hegel. Frankfurt a.M. 1974, S. 94. (GS 5, 336)